E-Commerce: Der neue Antrieb für die Automobilbranche
Die Automobilindustrie, traditionell geprägt durch persönliche Kontakte und bewährte Geschäftsmodelle, steht vor einem tiefgreifenden Wandel: Die Integration von E-Commerce und digitalen Technologien gewinnt rasant an Bedeutung.
Da immer mehr Privat- und Geschäftskunden ihre Produktsuche und Käufe ins Internet verlagern, entwickelt sich E-Commerce zu einem entscheidenden Treiber, der die Vermarktung und den Verkauf von Fahrzeugen, Ersatzteilen und Dienstleistungen revolutioniert.
In diesem Artikel beleuchten wir, wie verschiedene Akteure der Automobilbranche diese dynamische Entwicklung nutzen und innovative E-Commerce-Strategien sowie neue Geschäftsmodelle erfolgreich umsetzen.
Umstellung auf B2B-E-Commerce
Automobilhersteller erkennen zunehmend die Bedeutung von B2B-E-Commerce für die Neugestaltung ihrer Beziehungen zu traditionellen Vertriebspartnern. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Plattform „B2B Connect“ von Mercedes-Benz.
„B2B Connect“ ist ein vielseitiges digitales Tool, das speziell für freie Werkstätten und Dienstleister entwickelt wurde, die mit Mercedes-Benz-Fahrzeugen arbeiten. Die Plattform bietet eine zentrale Anlaufstelle für den Zugriff auf eine breite Palette von Ressourcen, darunter die Bestellung von Originalteilen, die Nutzung von Diagnosetools und der Zugang zu aktuellen Reparatur- und Wartungsinformationen.
Einige der wichtigsten Funktionen sind:
- Integration mit dem WebParts-System: Es ermöglicht die schnelle Identifizierung und Bestellung von Mercedes-Benz Originalteilen und wiederaufbereiteten Teilen direkt in B2B Connect und stellt sicher, dass Werkstätten effizient die richtigen Teile für jedes spezifische Fahrzeug finden können.
- Digitales Serviceheft (DSB): Diese Funktion bietet eine VIN-basierte Servicehistorie und -dokumentation, die die Verwaltung von Serviceunterlagen erleichtert und Werkstätten dabei unterstützt, eine genaue und aktuelle Servicehistorie für die Fahrzeuge zu führen, an denen sie arbeiten.
- Diagnosetools: Die Plattform bietet Zugang zu fortschrittlichen Diagnosewerkzeugen, die sicherstellen, dass Werkstätten präzise und effektive technische Fahrzeuginspektionen durchführen können.
- Workflow-Integration: Die Plattform ist so konzipiert, dass sie den gesamten Arbeitsablauf einer Werkstatt unterstützt, von der Fahrzeugdiagnose bis hin zur Reparatur und Wartung, wodurch die Prozesse rationalisiert und die Gesamteffizienz verbessert werden.
Mercedes-Benz B2B Connect wird kontinuierlich um neue Funktionen und Möglichkeiten erweitert. Die jüngsten Verbesserungen konzentrieren sich darauf, Werkstätten den Zugriff auf alle benötigten Informationen, Werkzeuge und Produkte an einem Ort zu ermöglichen.
Direct-to-Consumer-Modelle
Jahrzehntelang stützten sich die Automobilhersteller auf ein ausgedehntes Händlernetz, um ihre Kunden zu erreichen. Mit dem Aufschwung des E-Commerce haben sie jedoch die Möglichkeit, direkt an die Verbraucher zu verkaufen und die traditionellen Zwischenhändler zu umgehen.
Tesla ist ein Paradebeispiel dafür. Der Pionier im Bereich der Elektrofahrzeuge setzt auf ein Direct-to-Consumer (D2C)-Modell, das es den Kunden ermöglicht, maßgeschneiderte Fahrzeuge online zu bestellen, ihre Produktion zu verfolgen und die Lieferung zu vereinbaren — und das alles, ohne einen Fuß in ein Autohaus zu setzen. Dieser Ansatz hat nicht nur die Kosten gesenkt, sondern Tesla auch einen direkten Zugang zu den Kundendaten verschafft, was eine personalisierte Vermarktung und Produktentwicklung erleichtert.
Tesla betreibt zwei verschiedene E-Commerce-Plattformen: seine Hauptseite tesla.com und shop.tesla.com. Die Hauptseite wurde intern entwickelt, um den Verkauf von Teslas Elektrofahrzeugen zu unterstützen, da keine Standardlösung die spezifischen Anforderungen des Unternehmens erfüllen konnte. Das System nutzt eine Headless-Commerce-Architektur, bei der Tesla das Front-End vom Back-End entkoppelt hat, um mehr Flexibilität zu erreichen. Diese Struktur ermöglicht eine API-gesteuerte Anpassung, die ein optimiertes Kundenerlebnis, wie z. B. eine schnelle Lieferung, flexible Rückerstattungen und einen besseren Kundendienst, ermöglicht.
Für shop-tesla.com, Teslas Shop für Zubehör und Lifestyle-Produkte, wird Shopify Plus verwendet, eine anpassbare SaaS-E-Commerce-Plattform. Diese Integration ermöglicht Tesla die effiziente Verwaltung einer breiten Produktpalette, von EV-Ladegeräten bis hin zu Markenkleidung, und bietet gleichzeitig eine zuverlässige und skalierbare Lösung, um das hohe Besucher- und Transaktionsvolumen des Unternehmens zu bewältigen.
Tesla ist ein seltenes Beispiel für ein reines D2C-Modell unter den Automobilherstellern. Etablierte Unternehmen wie Volvo, BMW und Volkswagen tendieren jedoch zu einem hybriden D2C-Modell, dem sogenannten Agenturmodell. Diese Unternehmen haben sich lange auf ein Händlernetz verlassen und Beziehungen zu diesem aufgebaut und versuchen nun, diese Partner in neue Geschäftsmodelle zu integrieren.
Die jüngste Umstellung von Volvo auf ein Direktvertriebskonzept in Großbritannien veranschaulicht diesen Wandel. Im Juni 2023 hat Volvo seinen Großhandelskanal in Großbritannien geschlossen und damit den ersten Markt geschaffen, der ein reines Online-Vertriebsmodell verfolgt. Im Rahmen dieser neuen Struktur fungiert Volvo selbst als Einzelhändler, während Franchisepartner im Rahmen von Agenturverträgen tätig sind. Durch diese Änderung werden die Händler zu Dienstleistern, die Probefahrten ermöglichen, den Kaufprozess unterstützen und die Auslieferung und Wartung der Fahrzeuge übernehmen.
Das Herzstück des Volvo-Verkaufs liegt nun in seinem Onlineshop, volvocars.com, der transparente Festpreise ohne Feilschen oder versteckte Gebühren bietet. Darüber hinaus ermöglicht ein zentralisiertes digitales Inventarsystem Volvo eine effiziente landesweite Lagerverwaltung, die sicherstellt, dass die Kunden ihre Fahrzeuge schnell finden und erwerben können.
Die Abkehr vom Großhandelsmodell wird nicht nur durch Kosteneinsparungen — in der Regel etwa 30 % des Verkaufspreises eines Fahrzeugs — vorangetrieben, sondern auch durch den Wunsch nach vollständigem Zugriff auf Kundendaten. Volvo hat erkannt, dass die Investition in fortschrittliche Datenanalysefunktionen dazu beitragen würde, die Kundenpräferenzen besser zu verstehen und das Kauferlebnis zu verbessern.
Volvo plant, dieses Direktvertriebsmodell ab 2026 auf Deutschland auszudehnen, weitere Expansionen in Schweden und Norwegen sind geplant. Die Umstellung in Deutschland wird schrittweise erfolgen, da 240 Einzelhandelsstandorte umgestellt werden müssen, aber es bleibt das Ziel, einen einheitlichen und kundenzentrierten Verkaufsprozess zu schaffen.
Die E-Commerce-Plattform von Volvo basiert auf der Salesforce Commerce Cloud und bietet eine robuste Lösung sowohl für den Online-Fahrzeugverkauf als auch für die Integration von Teilen in die Händlernetze des Unternehmens. Mit Salesforce CRM und Marketing Cloud, die in die Plattform eingebettet sind, verfügt Volvo über ein einheitliches System für Personalisierung und Kundenmanagement.
Das Salesforce Interaction Studio spielt eine entscheidende Rolle bei der Verfolgung des Verhaltens in Echtzeit über den gesamten Kundenlebenszyklus hinweg und verbessert die Konversionsraten, indem es die Interaktionen auf der Grundlage der Benutzeraktivitäten anpasst. Dieses Setup bietet starke Omnichannel-Funktionen, die einen nahtlosen Übergang zwischen Online- und Offline-Kanälen gewährleisten und nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern auch den Umsatz steigern.
Die BMW Group und die Volkswagen Group haben ähnliche Ansätze.
Die BMW Group hat bereits im Januar 2024 ein Agenturmodell für ihre Marke MINI in Italien, Polen und Schweden eingeführt. Die Umstellung wird schrittweise auf weitere europäische Märkte ausgeweitet und soll ab 2026 auch für die Marke BMW gelten.
Der Volkswagen Konzern bereitet seinerseits die Umstellung auf dieses Modell für alle seine sechs Marken vor: Volkswagen Pkw, Skoda, Seat, Cupra, Audi und Volkswagen Nutzfahrzeuge. Irland ist einer der ersten Märkte, die von dieser Umstellung ab 2026 betroffen sein werden.
In dem neuen Modell werden die Volkswagen-Händler als Agenten fungieren, deren Aufgaben sich auf die physische Übergabe von Fahrzeugen und Kundendienstleistungen wie Wartung und Reparaturen konzentrieren werden. Für diese Dienstleistungen erhalten die Händler eine feste Gebühr anstelle der variablen Gewinnspannen, die sie bisher beim Verkauf erzielten.
Aus der Sicht des Kunden bietet das neue Modell große Flexibilität und mehr Transparenz bei der Preisgestaltung und den Verkaufspraktiken. Die Käufer können ihren Kauf vollständig online abwickeln oder ein Autohaus besuchen, um das Fahrzeug persönlich zu erleben.
B2B2C-Modell
Um die Vorteile von D2C mit den Vorteilen ihrer bestehenden Händlernetze in Einklang zu bringen, setzen Automobilhersteller zunehmend auch auf das B2B2C-Modell. Mit dieser Strategie können sie nach wie vor direkt online an die Verbraucher verkaufen, gleichzeitig aber die Händler in den Transaktionsprozess einbinden und so die engen Beziehungen zu diesen wichtigen Zwischenhändlern aufrechterhalten.
Beim B2B2C-Modell liefern die Hersteller die Produkte — Fahrzeuge und damit verbundene Dienstleistungen — während die Händler die Logistik, die Interaktion mit den Kunden und die abschließenden Transaktionen übernehmen. Die Verbraucher profitieren von einer nahtlosen Erfahrung, bei der sie Fahrzeuge online suchen, konfigurieren und kaufen können, wobei sie von lokalen Händlern unterstützt werden, die Probefahrten, Finanzierung und Auslieferung ermöglichen.
Ein herausragendes Beispiel für diesen Ansatz ist die „Click to Buy“-Plattform von Hyundai. Bei diesem innovativen B2B2C-Modell können Kunden jeden Aspekt des Autokaufprozesses online abwickeln, von der Fahrzeugauswahl und -anpassung bis hin zur Finanzierung und zum endgültigen Kauf.
Der Prozess beginnt damit, dass die Kunden online ihr bevorzugtes Fahrzeugmodell auswählen oder konfigurieren. Die Plattform bietet Bestandsaktualisierungen in Echtzeit, so dass die Käufer genau sehen können, was verfügbar ist, und eine fundierte Entscheidung treffen können.
Sobald das Fahrzeug konfiguriert ist, wählt der Kunde einen teilnehmenden Händler aus — in der Regel einen in seiner Nähe — um sicherzustellen, dass der Händler von Anfang an in den Prozess eingebunden ist. Durch diese Auswahl werden die Kunden nicht nur mit einem Händler für eine persönliche Betreuung verbunden, sondern der Händler kann auch maßgeschneiderte Angebote auf der Grundlage der Kundenpräferenzen unterbreiten.
Als Nächstes ermöglicht die Plattform den Kunden, Preise und verschiedene Finanzierungsoptionen zu erkunden, die an ihre finanzielle Situation angepasst werden können. Die Kunden erhalten personalisierte Angebote und können in einigen Märkten bei Bedarf online einen Kredit beantragen.
Während des gesamten Prozesses bietet Hyundai einen Live-Support, der bei allen Fragen hilft und so einen reibungslosen und stressfreien Ablauf gewährleistet.
Nachdem die Kunden das endgültige Angebot geprüft und akzeptiert haben, können sie den Kauf vollständig online abschließen. Dazu gehört auch das Ausfüllen der notwendigen Papiere und die Wahl, wie sie ihr neues Fahrzeug erhalten möchten. Die Kunden können ihr Fahrzeug entweder beim ausgewählten Händler abholen oder sich für eine Lieferung nach Hause entscheiden, was den Komfort zusätzlich erhöht.
In einigen Märkten ermöglicht die Hyundai-Plattform auch die Vereinbarung von Probefahrten, entweder beim Händler oder beim Kunden zu Hause, wodurch das Kauferlebnis zusätzlich verbessert wird.
Dieser umfassende Ansatz kombiniert die Bequemlichkeit des Onlineshoppings mit der vertrauensvollen Unterstützung traditioneller Händler und stellt sicher, dass die Kunden einen nahtlosen, modernen Autokaufprozess genießen und gleichzeitig von der Expertise und dem Service ihrer lokalen Händler profitieren.
Die Cl!ck to Buy E-Commerce-Plattform von Hyundai basiert auf Amazon Webstore und Adobe Experience Manager (AEM). Diese besondere Kombination ermöglicht es Hyundai, ein optimiertes und benutzerfreundliches Online-Kauferlebnis anzubieten. AEM unterstützt die Erstellung der interaktiven Autokonfiguratoren von Hyundai, die es den Kunden ermöglichen, ihre Einkäufe einfach zu personalisieren. Mit Amazon Webstore als Backend profitiert Hyundai von einem skalierbaren und zuverlässigen System, das in der Lage ist, große Transaktionsvolumina zu verwalten, während AEM die dynamische Bereitstellung von Inhalten und personalisierte digitale Erlebnisse für potenzielle Käufer gewährleistet.
Fazit
Die Automobilbranche entwickelt sich unaufhaltsam in eine digitale Richtung. E-Commerce revolutioniert die Vermarktung und den Verkauf von Fahrzeugen, Teilen und Dienstleistungen. Tesla setzt dabei mit seinem reinen D2C-Modell neue Maßstäbe, während etablierte Marken wie Volvo, BMW und Volkswagen auf die Kombination von Online-Plattformen mit traditionellen Händlernetzwerken setzen, um ein nahtloses und unterstützendes Kundenerlebnis zu schaffen.
Da die gesamte Branche verstärkt auf digitale Strategien setzt, wird die Integration von Online- und physischen Vertriebs- sowie Servicemodellen voraussichtlich zum neuen Standard. Dies ermöglicht sowohl B2C- als auch B2B-Kunden ein flexibleres und personalisierteres Erlebnis.